römisches Recht als europäisches Erbe

römisches Recht als europäisches Erbe
römisches Recht als europäisches Erbe
 
Am 1. Januar 1900 trat im Deutschen Reich das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft, das, mit zahlreichen Modifikationen, heute noch in Deutschland gilt. Zusammen mit dem Code civil (CC) in Frankreich, dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) in Österreich, dem Schweizerischen Obligationenrecht (OR) und Zivilgesetzbuch (ZGB) sowie anderen neuzeitlichen Kodifikationen Europas ist es in Inhalt, Aufbau und Denkweise der bisher letzte Ausläufer einer Rechtsentwicklung, die in der Frühzeit Roms eingesetzt hatte und über zahlreiche Zwischenstufen bis zum heutigen Tage weiterwirkt. Wie kam das? Wir werden es im Folgenden sehen, uns dabei aber nur auf das Zivilrecht konzentrieren; denn das Strafrecht und das öffentliche Recht der Römer haben im Gegensatz zum Zivilrecht keine wesentliche Wirkung auf die europäische Rechtsentwicklung gehabt.
 
 Familia und Eigentum — Die Anfänge des römischen Rechtswesens
 
Die winzige italische Landstadt Rom kannte wie alle anderen frühen mediterranen Siedlungen Recht nur in der Form, dass es gewisse einfache, urtümliche Vorstellungen von der richtigen Ordnung des Zusammenlebens in Familie und Stadt gab. Diese rechtlichen Vorstellungen (ius) galten als göttlicher Herkunft (fas) und bezogen sich auf Ehe, Verwandtschaft und Erbschaft sowie auf Fragen, die mit dem Haupterwerbszweig, der Landwirtschaft, zusammenhingen. Der Vater war das Familienoberhaupt (pater familias) und hatte als solches absolute Herrschaftsgewalt über seine Frau, seine Kinder und das Gesinde, unter dem sich auch (wenige) Sklaven befanden. Den Kindern gegenüber hieß diese Gewalt patria potestas, der Ehefrau gegenüber manus. Eigentum an den Gegenständen in Haus und Feld hatte nur der Vater; mit familia wurde der ganze Verband bezeichnet: Eltern, Kinder, Sklaven, Haus, Hof, Vieh und Acker.
 
Rechtlich geregelt werden musste etwa die Frage, was bei Verfehlungen der Hausangehörigen zu geschehen habe, wie die Eheschließung vor sich gehen solle, wie die Erbfolge zu regeln sei. Rechtsfragen, die außerhalb des Familienverbandes entstanden, waren vor allem die Beziehungen zum Nachbarn in der Stadt oder auf dem Feld oder Eigentumsfragen an Vieh und Feldfrüchten. Bei häuslichen Verfehlungen hatte der Vater unumschränkte Strafgewalt, die bis zur Tötung gehen konnte, also das Recht über Leben und Tod (ius vitae necisque), jedoch gehörte es sich, dass er in schweren Fällen, etwa im Fall des Ehebruchs durch seine Frau, ein Hausgericht zusammenrief, das aus den nächsten Verwandten bestand und dem pater familias zwar nicht rechtlich, wohl aber sittlich bindende Verhaltensvorschriften erteilte.
 
Der Vater konnte seine Kinder auch verkaufen, was, entgegen dem ersten Anschein, den vernünftigen Sinn hatte, die Abkömmlinge kinderreicher Familien einer anderen Bauernstelle zur Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen, wenn man nicht den Weg der Adoption wählen wollte. Freilich sollte damit kein Missbrauch getrieben werden, und so wurde bestimmt, dass der Sohn beim dreimaligen Verkauf aus der väterlichen Gewalt entlassen, also zum Schaden des Vaters frei sein sollte. (Ein mehrfacher Verkauf konnte dann stattfinden, wenn der Käufer den Sohn freiließ, wodurch dieser wieder in die väterliche Gewalt fiel.) Diese Missbrauchsregelung bei dreimaligem Verkauf machte man sich später zunutze, wenn der Sohn vom Vater willentlich in die Selbstständigkeit entlassen werden sollte. Er wurde zum Schein dreimal verkauft, und da der Verkauf mancipatio hieß, wie wir noch sehen werden, wurde dieses Selbstständigmachen emancipatio genannt. Von Mädchen war nicht die Rede, und hier zeigten sich die Römer später ausgesprochen frauenfreundlich: Statt zu sagen, dann könnten Mädchen eben nicht emanzipiert werden, schlossen sie umgekehrt aus deren Nichterwähnung in den überkommenen Rechtsvorschriften, dass kein dreimaliger Verkauf nötig sei, sondern dass schon ein einmaliger Scheinverkauf genüge.
 
Die Eheschließung geschah ursprünglich durch ein rituelles Mahl im Beisein des Jupiterpriesters und des pontifex maximus (confarreatio), später kam ein Scheinkauf (coemptio) hinzu, und im 3. Jahrhundert v. Chr. entstand eine Regelung, die ein Musterbeispiel für die gelegentlich reichlich übertriebene Nüchternheit der Römer darstellt: So wie man bei Sachen wie etwa einer Kuh oder einem Pflug nach einjährigem Gebrauch (usus) Eigentümer wurde, so kam auch die Frau nach einjährigem faktischem Zusammenleben durch usus in die eheherrliche Gewalt des Mannes, die manus. Sie konnte freilich diesen Fristablauf verhindern; wenn sie drei Nächte hintereinander aushäusig blieb, begann die Frist von neuem. — Der Vater konnte für den Fall seines Todes vor der Volksversammlung als Zeugen (testes) über sein Vermögen verfügen (testamentum); hatte er das nicht getan, so erbten seine Kinder und seine Frau zu gleichen Teilen, ersatzweise der nächste Verwandte.
 
Von Einzelheiten wie dem Verbauen eines fremden Balkens im Haus oder dem nächtlichen Absingen fruchtschädigender Zaubersprüche am Feld des lieben Nachbarn abgesehen ist das wichtigste rechtliche Faktum dieser frühen Zeit die komplizierte Art und Weise, wie die Eigentumsübertragung wichtiger Sachen vor sich ging. Wichtig waren natürlich die eigenen Kinder, dann Sklaven, Grundstücke und Großvieh. Das waren Dinge, die man nicht schnell durch Übergabe veräußerte, sondern hier war ein feierlicher Akt nötig. Fünf römische Bürger hatten als Zeugen anwesend zu sein, dazu der bisherige und der zukünftige Eigentümer sowie ein Waagehalter, der das Metall abwog, das den Kaufpreis bilden sollte. Dann sagte der Käufer, dass die Sache ihm gehöre, niemand widersprach, und Metall und Sache hatten den Eigentümer gewechselt. Da der neue Eigentümer die Sache mit der Hand (manus) ergriff (capere), hieß dieser Vorgang mancipatio.
 
Diese und andere Regelungen sind von großer Urtümlichkeit und spiegeln die kleinen und rein agrarischen Verhältnisse der römischen Frühzeit wider. Wir kennen sie deshalb einigermaßen genau, weil sie in einer Krisensituation aufgezeichnet wurden. Ähnlich nämlich wie in der sozialen Krise des archaischen Griechenland die aufstrebende Hoplitenschicht der Rechtsprechung durch den Adel nicht mehr traute und die öffentliche Aufstellung des geltenden Rechts durchsetzte, so setzte die römische plebs in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. ebenfalls durch, dass die rechtlichen Regelungen bekannt gemacht wurden, damit jedermann sie einsehen könne. Nach diesem griechischen Vorbild wurde das Recht zunächst auf zehn Tafeln zusammengefasst, zu denen dann noch zwei weitere kamen, und öffentlich aufgestellt. Die Volksversammlung billigte diese Gesetzeskodifikation, die nach der Anzahl der Tafeln Zwölftafelgesetz genannt wurde, die berühmteste Gesetzeszusammenstellung der Rechtsgeschichte.
 
Diese Art der Gesetzgebung war aber einmalig in Rom und kam nicht wieder vor; so urrömisch uns die Zwölf Tafeln vorkommen, so wahr ist es, dass sie eben doch eine Art der Gesetzgebung darstellten, die von den Griechen übernommen war. Die Weiterentwicklung des Rechts in Rom ging ganz andere, nun spezifisch römische Wege. Zwar ergingen hin und wieder durchaus Einzelgesetze durch die Volksversammlung (Tribuskomitien bzw. Plebsversammlung), die Masse der rechtlichen Regelungen wurde aber durch die Rechtsprechung geschaffen.
 
 Eine Erfindung der Römer: Legisaktionen- und Formularprozess
 
Ein Zivilprozess ging so vor sich, dass derjenige, der an einen anderen eine rechtliche Forderung stellte, die dieser nicht erfüllen wollte, diesen vor den zuständigen Magistrat lud, in historischer Zeit vor den Prätor. Der Beklagte, besonders wenn er mächtig war, wollte sich einer solchen Vorladung gern entziehen, und damit er gehorchte, bestimmten die Zwölf Tafeln ausdrücklich, dass ein Vorgeladener auch zu erscheinen habe. Der Prätor hörte sich das Vorbringen der beiden Parteien an, und wenn sie ihr Anliegen schlüssig vorgetragen hatten, ließ er die Klage zu, verhandelte die Sache aber nicht selber, sondern verwies sie an einen Richter, den Iudex, der Beweise erhob und den eigentlichen Prozess führte, der dann mit einem Urteil endete; eine weitere Instanz gab es nicht. Dieser Richter war, wie der Prätor, ein Aristokrat, der Rechtskenntnisse hatte und zum Bekanntenkreis des Prätors gehörte. Vielleicht hat sich die Einrichtung dieses Richters, der den eigentlichen Prozess führte, aus einer Schiedsrichterrolle entwickelt, wobei die Parteien sich auf einen Schiedsrichter einigten; in historischer Zeit wurde er aber von dem Prätor bestimmt.
 
Dieser zweigeteilte Prozess hielt sich bis in die römische Kaiserzeit, machte aber in sich eine Entwicklung durch. Der Vortrag der Parteien war nämlich zu Anfang nicht frei, sondern sie mussten ganz bestimmte Formeln sprechen, je nach dem Anspurch, der erhoben wurde. Das hatte seinen Grund vielleicht einmal in einer frühen sakralen Verankerung des römischen Rechts, aber auch darin, dass sozusagen aus Gründen der Rechtssicherheit oder Gleichmäßigkeit des Rechtslebens ein strenger Formenzwang nötig war, der möglichst Willkür ausschloss. Diese festgelegten feierlichen Worte (verba solemnia) betrafen natürlich nur eine eng umgrenzte Art von Ansprüchen, die sich aus den einfachen Verhältnissen der Frühzeit ergaben; sie waren gesetzlich eingerichtet worden und hießen daher »legis actiones«, also Klagen aufgrund des Gesetzes. Mit der langsamen Expansion Roms über Italien und der Entwicklung des Wirtschaftslebens wurden aber die Rechtsgeschäfte, damit die Konflikte und damit die gegenseitigen Ansprüche komplizierter, wuchsen über den Verkauf einer Kuh oder das Darlehen von Saatgut hinaus, und zudem waren zunehmend Nichtrömer an den Geschäften und somit im Konfliktfall an den Prozessen beteiligt - und auf die Konfliktfälle kam es ja an.
 
Das hatte zur Folge, dass immer häufiger Prozesse ungerecht entschieden wurden. Entweder musste der Prätor sagen, dass es für den betreffenden Streitfall keine Legisaktion gebe, oder er musste einen nichtrömischen Kläger abweisen, weil dieser aus Unkenntnis nicht die richtigen Worte gesprochen hatte. Das wurde, je länger es dauerte, immer unerträglicher, und man kann sich gut vorstellen, dass damit auch die Herrschaft Roms in Italien gefährdet wurde, weil sich berechtigte Unzufriedenheit ansammelte. Da griffen die Prätoren zu einem Mittel, das nur im aristokratischen Rom denkbar war und das den ganzen Charakter des römischen Rechts bestimmte. Sie ließen ohne gesetzliche Ermächtigung mehr und mehr Klagen auch ohne Legisaktionen und ohne Verba solemnia zu, und sie konnten das tun, weil ihnen ihre Amtsgewalt, das Imperium, die Befugnis dazu verlieh.
 
Ein Beispiel: Wenn jemand behauptete, ein Sklave gehöre ihm, durfte er im Legisaktionenverfahren diese Behauptung nicht in beliebigen Worten aufstellen, sondern er musste sagen: »Hunc ego hominem meum esse aio« (ich sage, dass dieser Mensch meiner ist), und wenn er statt des altertümlichen Wortes aio das geläufigere dico oder lego sagte, oder wenn er gar griechisch sprach, wurde seine Klage sofort abgewiesen, kam gar nicht erst bis zum Iudex. Ein Grieche aus Kyme (Cumae) etwa, dem so etwas passierte, obwohl er der Sache nach eindeutig im Recht war, dürfte diese Entscheidung nicht ohne Groll aufgenommen haben, und auch der Prätor fühlte sich unwohl dabei. Eines Tages muss sich nun ein amtierender Prätor in einem solchen Fall des sinnlosen Formalismus dazu durchgerungen haben, eine solche Klage auch ohne das Formerfordernis der Legis actio zuzulassen.
 
Dieser Entschluss wurde nun nicht punktuell für den einen zur Verhandlung anstehenden Fall getroffen, vielmehr war damit beabsichtigt, auch in Zukunft bei gleichen Sachlagen so zu verfahren. Der Prätor verkündete also durch eine öffentliche Bekanntmachung, durch ein Edikt, wie es römische Magistrate zu tun pflegten, bei der und der Sachlage werde er in Zukunft - zu ergänzen: obwohl das bisher nicht möglich war - so und so entscheiden. Die Beschreibung dieser Sachlage, die der Prätor mit seinen senatorischen Beratern und anderen Rechtskundigen sorgfältig ausgearbeitet hatte, hieß »formula« (Formel), und deshalb heißt diese Art des Prozesses zum Unterschied zum Legisaktionenprozess Formularprozess.
 
Entgegen dem Akzent, der in dem deutschen Wort mitschwingt, war diese Prozessart für die Parteien gerade die Befreiung von den Formeln des früheren Verfahrens; die Formel war eben nur die Beschreibung des Sachverhalts, die als Handlungsanweisung dem Iudex übermittelt wurde. Der jeweilige Amtsnachfolger übernahm in aller Regel dieses Edikt, fügte gegebenfalls ein neues hinzu, und so entstand allmählich eine große Menge rechtlicher Regelungen, die rein auf die Rechtsprechung und die Rechtsschöpfung durch den Prätor zurückgingen. »Das Edikt« nannte man ihre Zusammenstellung abkürzend, oder auch »edictum perpetuum« (immerwährendes Edikt), weil es sich jahrhundertelang weiterentwickelt hatte.
 
 Die römische Rechtswissenschaft - Ein Werk der Aristokratie
 
So wohl überlegt das alles war, so waren es doch jeweils Einzelregelungen, die die jeweiligen Prätoren trafen, und im Laufe der Römischen Republik wurde die Notwendigkeit immer größer, diese »Jahresringe« der Rechtsentwicklung nicht nur übersichtlich zu ordnen, sondern auch ihren inneren Zusammenhang bewusst zu machen oder vielleicht überhaupt erst herzustellen. So entstand die römische Rechtswissenschaft, und das ist das zweite und letzte Mal, dass griechisches Denken am Entstehen des römischen Rechts beteiligt war. Die Männer nämlich, die nun über die Masse der prätorischen Rechtsregeln systematisch nachdachten, waren Angehörige des Senatorenstandes und wussten von der griechischen Philosophie, und ihre wissenschaftliche Arbeit wandte deren Methode an. Diese Denkarbeit am Rechtsstoff war aber etwas spezifisch Römisches. Im demokratisch verfassten Griechenland mit seinen Volksgerichten war das nicht möglich, wohl aber eben in Rom, wo die Rechtsprechung in den Händen einer Aristokratie lag, deren Wirkungskreis das staatliche Leben war und die die ungestörte Muße hatte, sich den konkreten Feinheiten des Rechtsdenkens zu widmen und praktische Konsequenzen daraus zu ziehen.
 
Auf diese Weise wurde die römische Rechtswissenschaft neben der politischen und militärischen Tätigkeit des Senatorenstandes das dritte Gebiet, auf dem die römische Aristokratie das Gesicht des römischen Staates prägte. Ihre Arbeit hat das Recht der Schuldverhältnisse, also vor allem das Recht der Verträge, überhaupt erst geschaffen, und es ist dieses Rechtsgebiet, das vornehmlich weitergewirkt hat; sie haben den Begriff von Treu und Glauben (bona fides) als handhabbaren Rechtsbegriff geschaffen; sie haben erkannt, dass zwischen der schuldrechtlichen Verpflichtung, etwas zu tun, etwa Eigentum zu verschaffen, und dem Erfüllen dieser Verpflichtung, also der Eigentumsübertragung selber, ein gedanklicher Unterschied besteht, der rechtliche Konsequenzen hat; und sie haben auch, um ein letztes Beispiel zu geben, erkannt, dass das bloße tatsächliche Haben einer Sache, der Besitz, vom Eigentum zu unterscheiden ist und einen rechtserheblichen Lebenssachverhalt darstellt.
 
Die klassische Zeit der römischen Rechtswissenschaft brach aber erst mit der römischen Kaiserzeit an. Der Grund lag darin, dass jetzt im Mittelmeergebiet Ruhe eingekehrt war, sich die allgemeinen Verhältnisse organisch entwickeln konnten und dass es eine einheitliche und immer weiter ausgefächerte staatliche Leitung gab. Die Weiterentwicklung des Edikts durch die Prätoren schlief allmählich ein, sodass Kaiser Hadrian durch den Juristen Publius Salvius Iulianus (Konsul 148) das Edikt in einer endgültigen Fassung redigieren und herausgeben ließ, zu der jetzt kein neuer Rechtsstoff mehr kam. Das wiederum lag daran, dass die prätorische Rechtsprechung selber an Bedeutung verloren hatte, weil sich neben ihr eine neue, kaiserliche Rechtsprechung entwickelte, die »außerordentliche« Rechtsprechung (cognitio extraordinaria). Sie fand manchmal durch den Kaiser selbst, meist aber durch von ihm beauftragte Beamte statt und war insofern der herkömmlichen überlegen, als sie das komplizierte zweistufige Verfahren durch eine einheitliche Verhandlung ablöste und auch die Berufung an den Kaiser kannte.
 
Demgemäß änderte sich die Rechtssetzung. Die Volksgesetzgebung hörte ganz auf, statt ihrer hatte der Senat das Recht bekommen, dass seine Beschlüsse, die »senatus consulta«, jetzt mit Gesetzeskraft ausgestattet wurden; etliche wichtige Gesetze sind solche kaiserzeitlichen Senatsbeschlüsse. Vor allem aber setzte der Kaiser selbst Recht; das geschah in unterschiedlichen Formen, die wir heute mit dem Sammelbegriff Kaisergesetze bezeichnen. Sie wurden mit der Zeit die zweite wichtige Rechtsquelle. Die erste war aber immer noch das Zivilrecht der Republik mit seinem Hauptteil, dem später festgeschriebenen Edikt, entweder unmittelbar oder in der Weise, dass Juristen bei Streitfragen öffentliche Rechtsgutachten erstatteten. Das Recht, solche Rechtsgutachten (responsa) abzugeben, wurde vom Kaiser verliehen, geschah also »ex auctoritate principis«.
 
Große Juristen hatte es natürlich schon in der Republik gegeben. Zu nennen wären mehrere der Mucii Scaevolae in der späten Republik, von denen einer, Publius, den revolutionären Volkstribunen Tiberius Sempronius Gracchusgefördert hatte und 133 Konsul war, sein Sohn Quintus (✝ 82 v. Chr.) war Pontifex Maximus und wohl der berühmteste Jurist der republikanischen Zeit; Servius Sulpicius Rufus, Konsul 51 v. Chr., wurde von Cicero in dessen Rede für Murena mit vorsichtig dosiertem Spott überzogen von der Art, wie man sich auch heute noch gerne über Juristen lustig macht. Die Zahl der bedeutenden Rechtsgelehrten der Kaiserzeit ist so groß, dass wir hier zur Abkürzung nur einen nennen wollen, Publius Iuventius Celsus (Konsul 129), dessen Kunst, prägnante Formulierungen zu finden, bis heute eindrucksvoll ist. Sein Ausspruch, das Recht sei die Kunst des Guten und Gerechten (ars boni et aequi), prangt über dem Eingang des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg.
 
Celsus habe das »eleganter« definiert, sagte Domitius Ulpianus, und mit dessen Namen sind wir schließlich bei den drei wirkungsmächtigsten römischen Juristen, die seltsamerweise in einer Zeit gewirkt haben, in der das Reich schon auf den Abstieg zuging, in der Zeit der Severerdynastie (193-235). Alle drei hatten die Stellung eines Prätorianerpräfekten inne, also die höchste politische Position nach dem Kaiser. Der erste, Aemilius Papinianus, erlitt den Märtyrertod des bei Recht und Gerechtigkeit verharrenden Juristen: Als er sich weigerte, dem Wunsch des Kaisers Caracalla nachzukommen, dessen Mord an seinem Bruder Geta juristisch zu rechtfertigen, wurde er 212 hingerichtet. Von Iulius Paulus, dem zweiten, ist so etwas nicht bekannt, aber auch der dritte, Ulpianus, kam durch politische Gewalt um, denn er wurde 228 von der Prätorianergarde erschlagen.
 
 Römische Juristen erweisen sich als »Anwälte der Frauen«
 
In der Kaiserzeit kam auch ein Rechtsgebiet zum Abschluss, das wir als Beispiel für alle anderen kurz skizzieren wollen, nämlich die Rechtsstellung der Frau. Wir hatten gesehen, dass sie als Ehefrau in der Manus-Ehe unter der absoluten Gewalt ihres Ehemannes stand, die inhaltlich der der Patria potestas über die Söhne und Töchter entsprach, sodass man sagte, ihre Rechtsposition entspreche der einer Tochter, sie stehe »filiae loco«. Wir hatten aber aus der seltsamen Regelung, dass die Frau durch dreimaliges nächtliches Fernbleiben vermeiden konnte, durch Usus in die Manus ihres Mannes zu kommen, auch schließen können, dass das einfache Zusammenwohnen ebenfalls eine Ehe darstellte, nur eben keine Manus-Ehe. Diese freie Form der Ehe, die nur durch das faktische Verhalten begründet wurde, setzte sich seit dem 3. Jahrhundert immer mehr durch. Die Ehefrau blieb dabei entweder in der Patria potestas ihres Vaters, oder sie blieb, falls sie emanzipiert - im römischrechtlichen Sinne - war, selbstständig; die Römer nannten das »sui iuris«, eigenen Rechtes sein.
 
War eine Frau sui iuris, dann war sie genau wie ein Mann Trägerin von Rechten und Pflichten, konnte also Eigentum haben und am wirtschaftlichen und Rechtsverkehr teilhaben. In der sozialen Wirklichkeit war das auch tatsächlich der Fall. Es gab viele reiche Frauen, und es gab zahlreiche kleinere Händlerinnen und Unternehmerinnen; davon erfahren wir durch die erzählenden Quellen, durch die Inschriften - besonders instruktiv die aus Pompeji und aus Ostia -, und das lässt sich aus den Rechtsquellen schließen, denn von den Kaisergesetzen, die meistens nur auf Anfrage von Rechtssuchenden ergingen, beruhte etwa ein Drittel auf Anfragen von Frauen.
 
Freilich gab es Einschränkungen. Die Römer machten, wie wir nach ihrem Vorbild auch, einen Unterschied zwischen Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit. Ein Neugeborenes kann steinreich sein, Eigentümer großer Ländereien und Manufakturen, nur kann es natürlich nicht darüber verfügen, und daher handelte in Rom sein Vater für es oder in Ermangelung von männlichen Verwandten ein Vormund. Auch eine Frau eigenen Rechtes, sui iuris, galt in diesem Sinne als unmündig und bekam einen Vormund, einen »tutor«. Aber auch hier müssen wir die soziale Wirklicheit in Rechnung stellen, und sie sah so aus, dass dieser Tutor - wie der Kyrios im ptolemäischen Ägypten - in der Realität nur eine formelle Rolle spielte. Soweit wir beobachten können, hatten bei den reichen Damen die Tutoren sogar gleichzeitig die Funktion eines Geschäftsführers inne, ja, wir sehen bei Ciceros Frau Terentia, die reicher war als Cicero selbst, dass sie selber dafür sogar einen ihrer Freigelassenen als eine Art besonderer Vertrauensperson eingesetzt hatte. In der Kaiserzeit verlor die Frauenvormundschaft gänzlich ihre Bedeutung und wurde abgeschafft.
 
Eine weitere Einschränkung war die Regelung, dass Frauen keine Bürgschaft übernehmen konnten, und wir dürfen den römischen Juristen glauben, wenn sie sagen, dass das eine Schutzfunktion hatte und nicht aus Frauenverachtung resultierte. Die Bürgschaft ist auch heute eine gefährliche Sache; man geht sie oft ein in dem Glauben, nicht herangezogen zu werden, sonst würde man sich schwerer darauf einlassen, aber wenn man die Sachlage falsch eingeschätzt hat, steht man plötzlich doch da als jemand, der mit womöglich gravierenden Verpflichtungen belastet ist. Wenn Frauen also nicht bürgen konnten, dann bedeutete das, dass ihr Vermögen nicht in diese Gefahr geriet, und wenn dafür ihre geringere Geschäftskenntnis zur Begründung herangezogen wurde, hieß das nicht, dass man den Fauen als solchen weniger zutraute, sondern dass sie wegen ihrer sozialen Stellung weniger geschäftserfahren waren als die Männer.
 
Gerade in der Begründung der wenigen Einschränkungen in der Rechtsstellung der Fau kann man bei den Juristen der Kaiserzeit eine Entdeckung machen, die zeigt, dass diese ungestörte Friedensepoche auch sonst eine Zeit der ruhigen rationalen Sichtweisen war, die sich von Überkommmenem lösen konnte. Hinsichtlich der Frauenvormundschaft heißt es nämlich bei dem einflussreichen Juristen Gaius (2. Hälfte des 2. Jahrhunderts), sie sei üblicherweise mit dem weiblichen Leichtsinn - der »levitas animi« - begründet worden, doch sei das ein unsinniger Gedanke. Noch deutlicher wurden die Juristen bei der Begründung der Tatsache, dass Frauen keine politischen Ämter innehaben konnten.
 
Das Faktum selber braucht uns nicht zu überraschen, denn so sehr wir das im Lichte der Entwicklungen des 20. Jahrhunderts als eine gravierende Einschränkung ansehen, so wenig ungewöhnlich ist es doch, wenn wir uns die gesamte Geschichte ansehen. Politisch waren die Frauen ja nie gleichberechtigt, wenn sie nicht gerade aus dynastischen Zwängen heraus Ersatzfunktionen ausübten, und es ist gerade eine der herausragendsten Leistungen des sonst oftmals so fürchterlichen 20. Jahrhunderts, dass diese Situation sich geändert hat. Auch hier muss man den kaiserzeitlichen Juristen hohes Lob spenden: Sie bemühten sich nicht nur um eine Begründung für dieses im damaligen allgemeinen Bewusstsein eigentlich selbstverständliche Faktum, sondern es hieß auch, dass die üblichen Begründungen eigentlich nicht zuträfen. Wenn nämlich angeführt wurde, dass Frauen kein hinreichendes Urteilsvermögen (iudicium) hätten, dann leuchtete das dem vorhin erwähntenPaulus gar nicht ein, und er konnte nur resignierend feststellen, dass die Amtsunfähigkeit der Frau nur mit dem Herkommen zu erklären sei - der schwächste aller denkbaren Gründe.
 
 Die Systematik wird perfekt - Rechtskodifikationen der Spätantike
 
Wie man sich denken kann, war die Soldatenkaiserzeit auch für das römische Recht und die Rechtswissenschaft eine Zeit des Absturzes, und obwohl es später wieder bedeutende Juristen gegeben hat und verschiedene Rechtsschulen blühten, also Universitäten wie die in Berytos (heute Beirut), war die schöpferische Phase doch vorbei. Kaiser Diokletian versuchte, das römische Recht im ganzen Reich, also auch im griechischen Osten, einzuführen, scheiterte jedoch damit. Der Erlass der vielen Kaisergesetze hatte schließlich eine solche Unübersichtlichkeit zur Folge, dass zunächst private Zusammenstellungen der wichtigsten Gesetze gemacht wurden (die Codices Gregorianus und Hermogenianus am Ende des 4. Jahrhunderts), bis dann unter Theodosius II. 438 eine amtliche Sammlung erschien, der Codex Theodosianus, den wir heute noch haben. Hinsichtlich der Schriften der großen Rechtsgelehrten, die man für Urteile heranzog, traf Theodosius eine Entscheidung, die wir nach unseren heutigen Maßstäben nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen können und die zeigt, dass das sachgerechte Verständnis wissenschaftlicher Texte stark nachgelassen hatte. Er bestimmte nämlich in dem heute Zitiergesetz von 426, dass bei rechtlichen Streitfragen von den großen Juristen nur Papinianus, Ulpianus, Paulus, Modestinus und Gaius zitiert werden durften; waren sie unterschiedlicher Ansicht, entschied die Mehrheit, gab es ein Gleichgewicht, dann sollte die Meinung Papinians gelten.
 
Hundert Jahre später trat freilich etwas ein, was uns doch wieder ein günstigeres Bild von der Pflege der Rechtswissenschaft in Konstantinopel vermittelt. Der 527 an die Regierung gelangte Kaiser Justinian I. verfolgte in vieler Beziehung eine klassizistische oder restaurative Politik. Er versuchte zum einen, den inzwischen an Germanenstaaten verloren gegangenen Westen militärisch zurückzuerobern, was ihm teilweise gelang. Zum anderen versuchte er, wie Diokletian, das römische Recht in seinem ganzen Herrschaftsgebiet wieder zur Geltung kommen zu lassen. Zu diesem Zweck setzte er eine Kommission ein, die das gesamte Recht zusammenstellen sollte, das dann in dieser Form zu gelten hatte. 528 begann sie unter der Leitung des Quaestor sacri palatii Tribonianus ihre Arbeit und beendete sie fünf Jahre später. Es war eine ungeheure Leistung, die zeigt, dass nicht nur die gesamte rechtswissenschaftliche Literatur noch vorhanden war, sondern dass es auch Gelehrte gab, die sie von Grund auf verstanden und beherrschten.
 
Das Werk, das die Kommission erarbeitet hatte, war dreigeteilt. Zuerst erschien eine Sammlung aus wörtlichen Zitaten römischer Rechtsgelehrter in fünfzig Büchern, nach Sachgruppen geordnet, die lateinisch Digesten (Aufbereitetes) oder griechisch Pandekten (alles Enthaltendes) genannt wurde. Danach verfassten die Gelehrten einen Grundriss des römischen Rechtes, die Institutionen, und schließlich eine authentische Sammlung von Kaisergesetzen einschließlich von Gesetzen Justinians, den Codex Iustinianus; was nicht darin enthalten war, wurde für ungültig erklärt. Später kam noch eine weitere Gesetzessammlung hinzu, die weitere Gesetze Justinians und seiner nächsten Nachfolger enthielt, diese Sammlung heißt Novellen. Alle vier Bücher sind später als zusammengehörig angesehen worden und erhielten im Mittelalter die zusammenfassende Bezeichnung Corpus Iuris Civilis (Abkürzung CIC), also das Corpus des Bürgerlichen Rechts.
 
 Das römische Recht im Mittelalter - Nachwirkung und Wiederentdeckung
 
Das Corpus Iuris hat eine ungeheure Wirkung entfaltet, freilich eine ganz andere, als sie Justinian vorgeschwebt hatte. Im Römischen Reich nämlich schlug die Restauration fehl, außen wie innen; der Westen fiel alsbald endgültig weg, der Osten blieb griechisch und wurde später arabisch und türkisch. Die westlichen Germanenkönige hatten freilich eine große Hochachtung vor Rom und auch vor dem römischen Recht und versuchten, es zu erhalten und sich nutzbar zu machen. Sie ließen vereinfachte Rechtssammlungen anfertigen, so die Burgunder die Lex Romana Burgundionum oder die Westgoten die Lex Romana Visigothorum, auch Breviarium Alarici genannt. Das vereinfachte römische Recht im Westen nennen wir heute Vulgarrecht, es war etwas ganz anderes als das, was sich Justinian und seine Juristen gedacht hatten. Deren Arbeit war zunächst wirkungslos.
 
Was aber nur zum Teil verloren ging, das waren die Handschriften mit dem Text der Bücher. Diese waren ja auch ins vorübergehend wieder byzantinisch gewordene Italien gebracht worden und überdauerten dort viele Jahrhunderte. Die meisten Exemplare sind verloren, aber Institutionen, Codex und Novellen waren doch da und dort aufbewahrt worden, und wie durch ein Wunder blieb von den Digesten, dem wichtigsten und umfangreichsten Teil des CIC, wenigstens eine Handschrift doch erhalten - eine einzige; wäre auch sie verloren gegangen, die europäische Rechtsentwicklung hätte ein völlig anderes Aussehen bekommen.
 
Diese Handschrift wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts von den Gelehrten der ersten neuzeitlichen Universität, der von Bologna, in ihrer Bedeutung wieder entdeckt und wissenschaftlich bearbeitet. Dabei wurden die Digesten nicht als ein historisch interessanter Text, sondern als geltendes Recht aufgefasst, und das aus zwei Gründen. Erstens galt das mittelalterliche Reich als Fortsetzung des römischen, sodass der Fund des römischen Rechtes in seiner klassischen Form schon von sich aus dem Kaisertum sehr zustatten kam. Zweitens bestand in den im Aufstieg befindlichen oberitalienischen Städten mit ihrer sich immer mehr differenzierenden Kultur und Wirtschaft ein Bedürfnis nach durchgebildeten Rechtsvorschriften, und das war es wahrlich, was das römische Recht zu bieten hatte.
 
Das römische Recht breitete sich immer weiter aus. In Italien selbst setzte eine umfangreiche Erläuterungstätigkeit ein, die nach den Methoden der Bibelerklärung und der Scholastik verfuhr. Die Erläuterungen dieser ersten Generation von römischrechtlichen Gelehrten wurden als Glossen an den Rand der nun eifrig abgeschriebenen Texte geschrieben, sodass man diese Rechtsschule die der Glossatoren nennt; ihr Hauptvertreter ist Franciscus Accursius (um 1183-1263). Danach setzte eine vertiefte Bearbeitung ein, die in eigenen Werken den Rechtsstoff bearbeitete und kommentierte sowie Rechtsgutachten für praktische Zwecke verfasste; das ist die Schule der Kommentatoren, deren zwei Hauptvertreter Bartolus de Sassoferrato (um 1314-57) und Baldus de Ubaldis (um 1327-1400) sind.
 
 Das römische Recht - Ein Fundament des neuzeitlichen Europa
 
Das wieder entdeckte römische Recht wirkte wegen seiner Qualität und wegen seiner Autorität bald über Italien hinaus. Frankreich übernahm es, auch auf England wirkte es - entgegen einer weit verbreiteten gegensätzlichen Meinung -, wenn auch in mittelbarer Weise, und natürlich geriet auch Deutschland, das Kernland des Reiches, unter seinen Einfluss. Deutsche Juristen studierten in Italien, und nach Hause zurückgekommen, fanden sie Verwendung bei den sich immer weiter ausbreitenden Territorialgewalten der Fürsten, Bischöfe und Städte. Es gab natürlich ein einheimisches Recht, denn weder in Deutschland noch in England oder Frankreich hatte man bisher rechtlos gelebt, die Kodifikation des Sachsenspiegels gibt einen lebendigen Eindruck davon. Aber das römische Recht war erstens weitaus differenzierter, durchgearbeiteter und damit für die komplexer werdenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse geeigneter als das deutsche Recht, und zweitens war es ein übergreifendes Recht; nicht nur, dass es die deutschen Partikularrechte überwand, es fand auch in ganz Europa Anwendung und war somit allen anderen Rechten weit überlegen.
 
Da es nun aber darauf ankam, das Recht in der Praxis anzuwenden, blieb es doch nicht aus, dass lokale oder nationale Besonderheiten Berücksichtigung finden mussten. Man lebte im 15., 16. und 17. Jahrhundert nach Christus und nicht zur Zeit Ciceros, Hadrians oder Justinians. So bildete sich im Laufe dieser Jahrhunderte ein ganz eigentümlicher Rechtsstoff heraus, der in den Grundbestand des römischen Rechts einheimische Elemente aufnahm. Dieses gemischte, allen gemeinsame Recht hieß »ius commune«, gemeines Recht, und auf dem Gebiet des Sacrum Imperium Romanum galt es so lange, bis es durch Einzelkodifikationen abgelöst wurde. Es gilt noch im heutigen Südafrika, weil die Niederländer es bei ihrer Kolonisation mitgebracht hatten. Sonst aber begann man mit dem Beginn der Aufklärung darüber nachzudenken, eigene, vernünftige, rationale Gesetzbücher zu schaffen. Baiern (damals noch mit i geschrieben) ging 1756 mit dem Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis voraus, 1794 folgte das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten, 1803-07 der Code Civil, 1811 das ABGB in Österreich. Überall da, wo diese Kodifikationen nicht galten, galt aber weiter das gemeine Recht.
 
Als dann mit den deutschen Einigungsbestrebungen Pläne aufkamen, ein Gesetzbuch für ganz Deutschland zu machen, stellten sich ihnen zunächst heftige Widerstände entgegen. Sie wurden von der historischen Rechtsschule getragen, deren führender Vertreter Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) war. Sie argumentierten romantisch: Was der (deutsche) Volksgeist geschaffen habe, dürfe nicht durch eine künstliche Konstruktion abgelöst werden. Ein schwacher Punkt dabei war freilich, dass dieser Volksgeist großenteils römisch war. Mit der Gründung des Deutschen Reiches siegte dann das Bedürfnis der Gegenwart, und das BGB wurde geschaffen.
 
Inzwischen hatte sich eine rechtshistorische Forschung herausgebildet, der es nicht mehr auf die Anpassung des römischen Rechts an die Erfordernisse der Gegenwart, sondern auf die Erkenntnis dieses Rechtes selber in seiner historischen Entwicklung ankam. Die dadurch erfolgte Kenntnis der römischen Rechtsentwicklung ist, wie jede Wissenschaft, teilweise Selbstzweck, teilweise dient sie aber dazu, unser heutiges Recht besser zu verstehen, ja, mehr und mehr greift die Meinung um sich, die Kenntnis des römischen Rechts komme der europäischen Einigung zugute. Zum einen deshalb, weil es bei vielen Problemlagen die rationalste und eleganteste Lösung bereits gefunden hat, zum anderen deshalb, weil es die gemeinsame Grundlage aller europäischen Rechte - auch der hier nicht genannten - ist. Auf diesem Fundament müsste man heute aufbauen können.
 
Prof. Dr. jur. Wolfgang Schuller
 
 
Dulckeit, Gerhard / Schwarz, Fritz: Römische Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch. Neu bearbeitet vonWolfgang Waldstein. München 91995.
 Hattenhauer, Hans: Europäische Rechtsgeschichte. Heidelberg 21994.
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 Kaser, Max: Römische Rechtsgeschichte. Göttingen 21967. Nachdruck Göttingen 1993.
 Kaser, Max: Römisches Privatrecht. Ein Studienbuch. München 161992.
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 Söllner, Alfred: Einführung in die römische Rechtsgeschichte. München 51996.
 Stein, Peter: Römisches Recht und Europa. Die Geschichte einer Rechtskultur. Aus dem Englischen. Frankfurt am Main 1996.
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Universal-Lexikon. 2012.

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  • römisches Recht — römisches Recht,   das Recht des antiken römischen Staates, wie es sich von der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. entwickelte. Es wurde seit dem hohen Mittelalter zum gemeinen, überall im Lateinisch… …   Universal-Lexikon

  • Recht — Anspruch; Anrecht; Autorisierung; Berechtigung; Billigung; Genehmigung; Lizenz; Erlaubnis; Bevollmächtigung; Plazet; Autorisation; …   Universal-Lexikon

  • recht — ganz (umgangssprachlich); vergleichsweise; halb; halbwegs (umgangssprachlich); passabel; ziemlich (umgangssprachlich); hinlänglich; einigermaßen; mäßig; …   Universal-Lexikon

  • Rechtswissenschaft — Jura; Jurisprudenz; Juristik * * * Rẹchts|wis|sen|schaft 〈f. 20; unz.〉 Lehre von den Gesetzen u. ihrer Anwendung sowie Rechtsgeschichte, philosophie, soziologie u. a.; Sy Jurisprudenz * * * Rẹchts|wis|sen|schaft, die: Wissenschaft vom Recht,… …   Universal-Lexikon

  • Ahha — Wappen Deutschlandkarte …   Deutsch Wikipedia

  • Aix-la-Chapelle — Wappen Deutschlandkarte …   Deutsch Wikipedia

  • Aquisgranum — Wappen Deutschlandkarte …   Deutsch Wikipedia

  • Bad Aachen — Wappen Deutschlandkarte …   Deutsch Wikipedia

  • Streuselbrötchen — Wappen Deutschlandkarte …   Deutsch Wikipedia

  • Wallenstein — Wallenstein: Herzog von Friedland, kaiserlicher Kriegsrat und Kämmerer, Allerhöchster Obrist von Prag und ebensolcher General. Kupferstich 1625/28. Wallenstein, eigentlich Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, tschechisch Albrecht Václav… …   Deutsch Wikipedia

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